„Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg.
Führ uns zur Krippe hin, zeig wo sie steht.
Leuchte du uns voran, bis wir dort sind.
Stern über Bethlehem, führ uns zum Kind.“

Weihnachten – da kommt man nach Hause. Da will man zusammen sein, Sternstunden der Gemeinsamkeit erleben. Es ist diese ganz besondere Zeit im Jahr, in der wir das Vertraute suchen, das Gefühl von Zugehörigkeit – mit Eltern, Großtanten und Geschwistern, mit Zuneigung und Zimtstern, mit dem Weihnachtsbaum, bitte geschmückt wie immer – auch wenn früher mehr Lametta war. Und so gehen viele auf Reisen samt Kind und Kegel, und folgen je ihrem eigenen Stern hin zur ganz eigenen Familienkrippe. Allemal in dieser Zeit der Globalisierung, in der ja die Hälfte der Menschheit sonst wo in der Weltgeschichte unterwegs ist, wird er immer wichtiger, der Ankerplatz der Liebe.

Für viele Familien ist das wunderschön, man zehrt von solch Sternenmomenten, ja, manchmal ein ganzes Jahr. Doch schwi

 

erig, wenn man nicht zueinander kommen kann. Wenn die Distanz zu groß ist oder Streit einen trennt und der Kontakt abgerissen ist. Oder – Weihnachten fühlt man dies besonders schmerzhaft – wenn jemand gestorben und unerreichbar geworden ist.

Weihnachten – da sehnt man sich nacheinander.

Nicht nur junge Liebe, auch alte Sehnsucht und altes Heimweh schwingen dabei mit. Und dann sind da auf einmal auch eige

 

ne Traurigkeiten berührt, eigene Trennungen, die einem das Leben zugemutet hat, gar schon im Krieg und Kalten Krieg. Gerade im Alter kommen diese Erinnerungen hoch. Umso wichtiger ist da Gemeinschaft, Familie, Miteinander.

Denn es geht um Hoffnung. Genau das geschieht Weihnachten, ein heller, unübersehbarer Stern geht auf, inmitten der Dunkelheit, einer, der in die Zukunft weist. Ein Stern der Liebe, der sagt: Ich denk an dich. Ein Stern, der uns locken will loszugehen, hin zum Leben, hin zum kleinen Friedefürst in der Krippe. Und der strahlt ausnahmslos jedem entgegen, unerhört freundlich. Ochs und Esel, Hirte und König, Kind und Jedermann. Aller Welt, allen Völker der Erde ein Wohlgefallen! singen die Engel dazu.

Friede soll werden. In der Welt und in deinem Herzen.

Und – so hört man Weihnachtsskeptiker fragen – ist das wirklich realistisch? Schaut euch um in dieser Welt, über die Meere hin, überall – universal – Krieg, Terror, Zertrennung. In Syrien, dort wo Quirinius Statthalter war: Seit fast neun Jahren beklagen wir den Krieg mit vier Millionen Flüchtlingen im eigenen Land! Im Libanon brennt die Luft, im Jemen hungern die Menschen, und auf Lesbos, welche Inhumanität spielt sich da vor unseren Augen ab! Seit Monaten ja schon. All die Kinder in den Flüchtlingslagern, die elendig unter Kälte und Unterernährung leiden. Hier ist doch Europa mit seinem Sternenkreis wirklich in der Pflicht.

Leider ist diese Staatengemeinschaft sich in humanitären Fragen oft uneins. Doch Gleichgültigkeit und „Friede auf Erden“ passen nicht zusammen. Wäre es angesichts des fast 75-jährigen geschenkten Friedens nicht mehr als dran, alles zu stärken, was die Welt zusammenhält?

Genau darum geht‘s in dieser alten Weihnachtsgeschichte. In ihr geht es ums reale Leben und um das, was zusammenhält. Da ist ein unverheiratetes Paar, das Heimat sucht. Und just in Kälte und Fremde bekommt die junge Frau ein Kind, in einer Zeit, in der Angst vor der Zukunft die Menschen umtreibt. Und plötzlich geht dieser Stern auf. Er weist auf das kleine Kind, Gottes Liebesbotschaft an uns. Zärtlich ist es und weltbewegend, in seiner Würde unverletzbar vom ersten Atemzug an. So doch wie jedes Kind auf dieser Welt. Schaut da hin, sagt der Stern. Es gibt allen Grund sich neu auszurichten. Allen Grund, wieder mit einem Kompass unterwegs zu sein, der heißt: Menschenfreundlichkeit und Friedensdienst. Denn allem Volk ist der Heiland geboren.

Wir sind eine Weltfamilie, sagt der Stern, wir gehören zusammen, so unterschiedlich wir sind. Der Stern geht über allen auf, im Norden wie im Süden, im Nahen Osten wie im reichen Westen. Wir alle sind umspannt vom großen Firmament des Himmels, der in dieser Heiligen Nacht auf die Erde kommt. Nur wenn wir begreifen, ja, leben, dass wir eine Weltfamilie sind, die in der Lage ist, über Meere und Gräben hinweg Liebesgrüße zu senden und Brücken zu bauen, hat der Weihnachtsfrieden Gottes eine Chance.

Wir müssen wieder begreifen, dass wir uns untereinander brauchen. Unterstützung im Alltag, Unterstützung bei Herzensangelegenheiten, miteinander reden, zuhören und Hilfsbereitschaft auch bei kleinen Angelegenheiten.

Wir brauchen uns. Wir brauchen einander gegenseitig.

 

Wir brauchen sie, die Brückenbauer und Bürgernahen. Die sich kümmern, die Verantwortung übernehmen. Heute mehr denn je. Denn nicht nur das Weltklima ist erhitzt, auch das gesellschaftliche Klima braucht „Klimaschutz“ bei all der zunehmenden Aggressivität. Damit man wieder anständig miteinander redet, eine Gesprächskultur zurückgewinnt, in der das Argument zählt und nicht die Lautstärke, eine demokratische Dialogkultur, die die andere Meinung auch einmal auszuhalten versteht.

Und zu dieser Kultur gehört es sicherlich bisweilen, Sternenklartext zu reden. Gegenüber Menschenverachtung und rechtsextremer Hassparole, gegen Antisemitismus. Wir könnten da mutiger sein und nicht immer fürchten, das Falsche zu tun oder zu sagen. Vielmehr gilt das Engelwort: „Fürchtet euch nicht!“ Fürchtet euch doch nicht, Menschenfreunde zu sein, wie Gott auch. Ihr habt so vieles in euch: Kraft, Weltoffenheit, Herz, Liebesgrüße. Also: Das Böse nicht stärker werden lassen, indem wir zu zaghaft das Gute vertreten.

Weihnachten ist mehr als der Rückzug ins Vertraute. Der Stern lockt uns auch, neue Annäherungen zu suchen und Dialog zu üben, gerade auch mit denen, die einem erst einmal nicht so nach der Mütze sind. Ich bin überzeugt, für den Frieden in unserem Land und unserer Gemeinde braucht‘s solchen Dialog, um Brücken zu bauen zwischen Generationen, zwischen politischer Haltung, den Konfessionen und Religionen.

Machen wir‘s also wie die Hirten und folgen dem Stern über Bethlehem. Denn das hier ist eine besondere Nacht. Die Hirten jedenfalls gehen einfach los, lassen sogar ihre Schafe allein zurück, als hätten sie von Wölfen nie gehört. Nein, sie hören die Engel: Der Retter ist da, singen die. Ihr könnt ihn finden, den Frieden auf Erden. Also schnell, beeilen wir uns und entdecken – tatsächlich – den kleinen Friedenskönig. So unerhört freundlich schaut er uns an. Und wir wissen: Wir sind angekommen. Wir sind zu Hause.

Von Herzen ein friedvolles, gesegnetes Weihnachtsfest. Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in ihm, Christus Jesus, Gottes Sohn.
Ihre Claudia Kühnle, Kirchengemeinderätin aus Gründelhardt

erschienen im Miteinander Magazin 02/2023