Erlauben Sie mir ein paar persönliche Gedanken über die Forum-Studie, die am 25. Januar veröffentlicht wurde und die jetzt überall in den Medien zu finden ist.
Es erschüttert mich zutiefst, wie einzelne Menschen ihre Macht an ihren Schutzbefohlenen missbraucht haben. Ich kann es mir gar nicht vorstellen, dass so etwas innerhalb unserer Kirche geschehen kann.
Natürlich müssen wir jetzt genau aber auch differenziert hinsehen. Wir müssen aufarbeiten, was geschah, wer schuldig wurde und wer geschädigt wurde. Und hier geht es um jeden Einzelfall. Da gibt es keine gemeinsamen Fälle. Jedes Opfer hat es verdient, dass genau hingeschaut wird. Wir müssen auch versuchen, gesellschaftlich und historisch einzuordnen, was heute herauskommt. Da hat sich in der Wahrnehmung und in der Gesellschaft Vieles zum Positiven verändert. Früher war die Züchtigung durch Gewalt an der Tagesordnung und ich bin sehr dankbar, dass wir an dieser Stelle gesellschaftlich weiter gekommen sind. Es ist aber nahezu unmöglich, die Geschehnisse aus der damaligen Zeit mit der heutigen Perspektive zu beurteilen und zu verurteilen. Auch hier muss differenziert werden. Was geschehen ist, ist furchtbar.
Manche werden jetzt vielleicht sagen: „Da kann ich nur noch austreten.“ Diese Reaktion hat man auch in der katholischen Kirche gesehen. Doch ich glaube nicht, dass das eine gute Lösung ist.
Es geht doch vielmehr darum, jetzt etwas zu verändern, damit wir mit den Schutzbefohlenen sicherer und besser umgehen. Es geht doch darum, Konzepte zu entwickeln, wo es sichere Schutzräume für Kinder gibt. Und Tools, durch die wir nicht mehr wegsehen, sondern hinsehen. Das gilt übrigens nicht nur im Bereich der kirchlichen Einrichtungen, sondern auch in den Schulen und auch in den Kinderzimmern. Wir alle haben hier unsere Verantwortung und wir sollten die Studie jetzt dazu nutzen, Kinder besser zu schützen und Täter nicht zu beschützen. An dieser Stelle wünsche ich mir tatsächlich eine staatliche Aufarbeitung. Denn sollte tatsächlich Kirchenleitung dabei geholfen haben, Taten zu vertuschen und die Täter zu beschützen, indem sie auf neue Stellen versetzt wurden, dann ist hier eine noch größere Schuld für unsere Institution entstanden, die Konsequenzen braucht. Und diese Schuld kann nicht innerhalb der Kirche aufgearbeitet werden.
Wir müssen jetzt gemeinsam als Kirche und Gesellschaft weiter den mühsamen Weg der Prävention gehen: Jede Kirchengemeinde braucht ein geeignetes Schutzkonzept. Jede/r Mitarbeiter/-in muss eine Selbstverpflichtung unterschreiben. Erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse müssen vorgezeigt werden. ALLE Mitarbeiter müssen eine Präventionsschulung machen: Es darf nicht weiter vertuscht werden und wir müssen alle hinsehen. Auf diesem Weg sind wir als Kirchengemeinde bereits. Die Schulungen für die Jugendmitarbeiter finden gerade statt und ein Großteil hat sie durchlaufen. Alle Pfarrerinnen und Pfarrer haben diese Schulung ebenfalls erhalten. Zudem mussten alle Pfarrerinnen und Pfarrer jetzt wieder ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Das sind alles mühsame Punkte, aber sie sind wichtig, damit wir unserer Verantwortung gegenüber unserer Anbefohlenen gerecht werden.
Für das alles brauchen wir auch weiterhin eine starke Kirche. Wir brauchen SIE! Und vor allem Menschen, die diesen Weg mitgehen. Bleiben Sie also dabei! Verändern können Sie nur etwas, wenn Sie durch Ihre Dabeisein und durch Ihre Haltung und Ihr Hinsehen aktiv werden. Ich würde mir das sehr wünschen. Denn wir brauchen für die Menschen eine starke Kirche mit der wichtigsten Botschaft für die Menschen: Jesus sagt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16,33)
Dass es überall schlechte Menschen gibt, ist für mich nichts Neues. Ja, auch in der Kirche menschelt es. Und das tut weh. Und ich ärgere mich über Menschen, die den Betroffenen, der Kirche und letztlich auch sich selbst großen Schaden angetan haben. Wir sollten uns aber nicht an ihnen orientieren. Sondern wir sollten es besser machen. Helfen Sie dabei mit.
Für Gespräche bin ich gerne bereit.
Ihr Pfarrer Markus Hammer
Zusätzlich noch ein paar weitere Anmerkungen zur Studie:
Die Abkürzung „ForuM“ steht für „Forschung zu sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie Deutschland.“
Diese Studie hat das Ziel möglichst eine „Gesamtanalyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die (sexualisierte) Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen“, vorzulegen und somit eine empirische Basis für weitere Aufarbeitungsschritte der evangelischen Kirche und Diakonie zu liefern.
ForuM wird durch einen Forschungsverbund realisiert und teilt sich in sechs Teilprojekte auf. Jedes Teilprojekt widmet sich einem unterschiedlichen Schwerpunkt.
Der Forschungsverbund wird von Prof. Dr. Martin Wazlawik von der Hochschule Hannover koordiniert. Das Metaprojekt führt die Ergebnisse aller Teilprojekte zusammen.
Die Württembergische Landeskirche hat alle Personalakten im letzten Jahr im Vier-Augen-Prinzip gesichtet und die Daten an die Zuständigen weitergegeben. Dabei wurde alles geliefert, was verlangt wurde. Ich halte es für absolut wichtig, dass unsere Kirche hier versucht, Klarheit zu schaffen und zu kooperieren.